Dao De Jing von Laozi |
Chinese - German by Hans J. Knospe Odette Brändli 1985 |
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Tao – Weg für den Westen?
Seit einigen Jahren üben immer mehr Menschen im Westen Zen. Über den wachsenden Kreis der Übenden hinaus ist vielen mehr oder weniger bekannt, was Zen bedeutet. Obwohl nicht unumstritten ist, ob Zen von Nichtbuddhisten eingeübt werden kann, jedenfalls mit der letzten und notwendigen Konsequenz, werden die Übungen des Zen oder zumindest Übungen im Stil des Zen immer stärker in den christlichen Kirchen, auffallender weise besonders in der katholischen Kirche und dort wieder mit an erster Stelle in den Ordensgemeinschaften, adaptiert.
Da das Interesse weitgehend auf die Übungen selbst gerichtet ist, wird die Frage nach dem Ursprung des Zen nur selten, allenfalls in einigen Büchern über Zen erörtert.
Zen, wie er heute im Westen verbreitet wird, ist gleichsam die vollendete japanische Blüte eines alten Baumes, dessen beide Hauptwurzeln in Chinas alte Philosophie und die aus Indien nach China gebrachte Lehre des Buddha reichen. Das Wort Zen und die damit verbundenen Inhalte leiten sich ursprünglich vom chinesischen ch' an ab, das wiederum die chinesische Wiedergabe des Sanskritwortes dhyâna (ungefähr: Meditation) ist. Der chinesische Mönch Hui-yüan (334-416), der als Gründer der sogenannten Amida-Sekten vom Reinen Land gilt, vereinigte in besonderer Weise buddhistische und taoistische Elemente in seinen Meditationen. Sein Zeitgenosse Seng-chao (384-414), dessen Schriften von späteren Zen Meistern hochgeschätzt wurden, verband gleichfalls die Weisheiten der taoistischen Philosophen mit der Buddha-Lehre.
Wer sich also mit Zen befasst oder Zen übt, kommt auch über kurz oder lang mit dem philosophischen Taoismus und seinen Inhalten in Berührung.
Während das Interesse am Zen im Westen relativ jungen Datums ist, sind die Schriften der taoistischen Tradition, also besonders jene des Lao Tse (Laudse) und des Tschuang Tse (Dschuang Dsi), im Westen schon lange bekannt. Das Tao-Te-King (Daudedsching), dessen Verfasser Lao Tse gewesen sein soll und das gelegentlich als »Bibel des Taoismus« bezeichnet wird, dürfte nach der Bibel und dem Kommunistischen Manifest eines der am weitesten verbreiteten und meistübersetzten Bücher sein. Dennoch ist festzustellen, dass der Taoismus im Westen nicht jene Beachtung fand, die man dort den Lehren des Konfuzius entgegenbrachte. Hierbei mögen zwei Gründe mitgespielt haben, die interessanterweise mit Vorbehalten gegenüber dem Taoismus in China selbst übereinstimmen. Dort wie später auch im Westen galt der Taoismus als Lebensphilosophie von mehr oder weniger charmanten Außenseitern, ja von gesellschaftlichen Aussteigern. Zum anderen hat das wenig günstige Image des sogenannten Volkstaoismus den Taoismus überhaupt in Misskredit gebracht. Dieser Volkstaoismus, dem man auch heute noch in den altchinesischen Gesellschaften außerhalb der Volksrepublik China begegnen kann, stellt eine merkwürdige Mischung aus Resten der altasiatischen Schamanenreligion mit späteren magischen Zutaten, Wahrsagerei und einem tropischen Götterhimmel dar. Demgegenüber musste der streng rationale und diesseits gerichtete Konfuzianismus den westlichen Ausländern, die nach China kamen, bekannter vorkommen und auch sehr viel verständlicher erscheinen. Damit verknüpft oder daneben können weitere Gründe für die »Bevorzugung« des Konfuzianismus durch den Westen genannt werden, Gründe, die nicht selten mit politischem Kalkül zu tun hatten. Immerhin war der Konfuzianismus eng mit den politischen Kräften des traditionellen China verbunden, sieht man einmal von wenigen Ausnahmen unter den Kaisern ab.
Es ist übrigens nicht zu übersehen, dass auch die chinesischen Kommunisten, die heute ihre Religionskritik neu formulieren, große Schwierigkeiten mit der (Wieder-)Zulassung des Taoismus haben. Wenn sie zwischen »Religion« und »feudalistischem Aberglauben« unterscheiden, meinen sie mit dem letzteren den alten Volkstaoismus (die Konfuzius-Schreine hingegen werden, wenn auch zögernd, wieder restauriert und geöffnet).
Lange Rezeptionsgeschichte
In den westlichen Ländern ist das Interesse am philosophischen Taoismus während der beiden letzten Jahrzehnte außerordentlich gewachsen. Die Ausgaben und Übersetzungen der taoistischen Klassiker sind im anglo-amerikanischen Bereich kaum noch zu überschauen; auch in Frankreich und den deutschsprachigen Ländern sind die wichtigsten Schriften heute in guten Übersetzungen zu erreichen, darunter beinahe zwanzig Tao-Te-King-Ausgaben, allerdings von sehr unterschiedlicher Qualität. Bekannte zeitgenössische Dichter und Schriftsteller bekennen, dass sie sich nicht nur mit den Taoisten befassen, sondern auch aus deren Schriften Anregungen und Antworten auf ihre Fragen erhalten. Stellvertretend für viele andere seien Elias Canetti, Peter Handke und Luise Rinser genannt, aus dem französischen Sprachraum René Étiemble und Marguerite Yourcenar. Der Philosophielehrer von Albert Camus, Jean Grenier, veröffentlichte ein Buch über die Tao-Lehre (L'esprit du Tao). Canetti schreibt in »Die Provinz des Menschen«, der Taoismus sei die Religion der Dichter (»auch wenn sie es nicht wissen«). Und Luise Rinser hat einmal in einem Interview geäußert, ihr helfe in dunklen Zeiten weder das Christentum noch der Buddhismus, sondern »nur die alte chinesische Philosophie: Der Taoismus ... «.
Nun kann, ja muss man sich angesichts derartiger Zeugnisse fragen, ob sich vielleicht hierin bei den sensiblen Geistern ein neuer Trend abzeichnet, nachdem das Interesse der westlichen Intellektuellen lange Jahre dem Hinduismus und insbesondere dem Buddhismus galt. Eine derartige Skepsis wäre verständlich. Bei genauer Überprüfung der Hintergründe und Strömungen ergibt sich jedoch ein anderes Bild.
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Hierbei handelt es sich nicht um einen modischen Trend. Die Schriften der taoistischen Philosophen finden vielmehr seit langem die ihnen gebührende Beachtung, und ähnlich wie in unseren Tagen haben früher bekannte westliche Philosophen und christliche Theologen bekannt, dass sie sie hochschätzen. So regte etwa Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646-1716) an, »dass man Missionare der Chinesen zu uns schickt, die uns Anwendung und Praxis einer natürlichen Theologie lehren könnten«. Die literarische Verbreitung und Auseinandersetzung mit den taoistischen Philosophen begannen freilich erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich, sieht man einmal von Seckendorffs »Rad des Schicksals oder die Geschichte der Thoangesi's« ab, das 1783 in Dessau erschien. Besonders französische Wissenschaftler haben dabei Pionierwerk geleistet; an erster Stelle sind Abel Rémusat, Stanislas Julien und Jean Pierre Guillaume Pauthier zu nennen, die zur Verbreitung der Lehren des Lao Tse in Europa die Grundlagen geschaffen haben. Die erste vollständige Übersetzung des Tao-Te-King in eine westliche Sprache erschien 1842 in Paris (von S. Julien), die beiden ersten deutschen Übersetzungen wurden 1870 von v. Plaenekner und v. Strauß veröffentlicht.
Einige europäische Theologen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, und zwar Protestanten wie Katholiken, studierten die damals erscheinenden Texte mit Interesse und waren nicht selten über Parallelen mit der jesuanischen Botschaft überrascht. So wies etwa der Professor für Altes Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Tübingen, Julius Grill, auf an die hundert Parallelen zwischen den Aussagen des Tao-Te-King und des Neuen Testaments hin. Grill lernte die chinesische Sprache, um die Texte im Original lesen zu können; dieser Mühe unterziehen sich leider nur wenige »Übersetzer« des Tao-Te-King. Der Tübinger Alttestamentler veröffentlichte 1910 eine eigene Übersetzung des Tao-Te-King (»Lao-tses Buch vom höchsten Wesen und vom höchsten Gut«), die lange Zeit im deutschen Sprachraum viel gelesen wurde.
Auch der katholische Systematiker Herman Schell, einer der bedeutendsten Theologen des 19.Jahrhunderts, war von Lao Tse tief beeindruckt: »Unter allen Schriften, in welchen die religiöse Forschung der Menschheit außerhalb des Kreises der alttestamentlichen und neutestamentlichen Inspiration ihre mühsam errungenen Ergebnisse niedergelegt und der Zukunft als Vermächtnisse überliefert hat, wird wohl kaum eine zu finden sein, welche dem Büchlein Lao Tse's den Primat streitig machen dürfte.«
Das Interesse an Lao Tse und den anderen Taoisten und ihren Schriften (Tschuang Tse, Liä Dsi) ist seitdem im Westen nicht mehr erloschen. Martin Buber hat sich mit der »Lehre des Tao« (1910) befasst und ebenso wie Thomas Merton eine Sammlung der Gleichnisse des Tschuang Tse veröffentlicht (1912; Merton 1965). Die weitere ernsthafte Auseinandersetzung der christlichen Theologen mit dem Taoismus ist möglicherweise dadurch behindert worden, dass die Theosophie und esoterische Richtungen Lao Tse und die anderen Taoisten als ihre Lehrer betrachteten, ja geradezu gepachtet hatten. Dem dienten nicht selten eigenwillige Übersetzungen der taoistischen Schriften, besonders des Tao-Te-King.
Die Frage der Übersetzung der taoistischen Literatur spielt überhaupt eine zentrale und durchaus konfliktträchtige Rolle in der Rezeptionsgeschichte des philosophischen Taoismus im Westen. Die an den Inhalten Interessierten waren und sind in der Regel des Chinesischen nicht mächtig, während den Sinologen im allgemeinen das Interesse am Taoismus abgeht. Letzteres mag auf die bereits erwähnte Geringschätzung des Taoismus im Alten wie im Neuen China zurückzuführen sein. Allerdings gab und gibt es unter den Sinologen Ausnahmen; für den deutschen Sprachraum seien nur Wilhelm und Forke oder Schwarz und Ulenbrook genannt. Die eigene Art der chinesischen Sprache gibt zudem Veranlassung und reiche Gelegenheit, ja zwingt selbst oft dazu, in noch stärkerem Maße als ohnehin bei Übersetzungen unumgänglich, interpretativ zu übersetzen. Das hat zur Folge, dass faktisch alle Übersetzungen des Tao-Te-King voneinander abweichen, teilweise sogar erheblich.
Die Übersetzungsschwierigkeiten beginnen beim Begriff Tao selbst. Tao ist eigentlich unübersetzbar, und bedeutende Übersetzer lassen das Wort denn auch stehen, nachdem sie ausgelegt haben, wie sie es verstehen. Sehr viele Interpreten übersetzen Tao heute mit Weg, andere mit Höchstes Wesen, Sinn oder Weltgesetz, mit Logos, natura, natura naturans oder ratio (raison, reason), mit cause première, parole, principe (= Einheitsprinzip) oder providence. Das chinesische Ideogramm für Tao setzt sich aus »Kopf« und »Fuß« oder »Denken« und »Gehen« zusammen. Ein hervorragender Kenner der Tao-Lehre, Chungyuan Chang, empfiehlt, »in diesem Symbol einen Führer und einen Jünger zu sehen, die gemeinsam ihren Weg suchen«. C. G. Jungs Postulat von unus mundus scheint dem Tao weitgehend zu entsprechen, auch der Logos bei Heraklit oder die causa sui Spinozas. Tao ist jedoch nicht mit Ur-Grund oder gar Gott gleichzusetzen!
Die Aktualität der Tao-Lehre
Seitdem die Lehre vom Tao im Westen bekannt geworden ist, hat sie dort Menschen angesprochen und was wenig bekannt ist durchaus auch politische Wirkungen gezeigt. So haben nicht wenige in der Zeit des Nazi-Terrors im Tao-Te-King nicht nur Trost, sondern auch Weisung zu politischem Handeln gefunden. In den Flugblättern der »Weißen Rose« wurde Lao Tse häufig genannt und zitiert. Dass die Lehren der Taoisten auch heute religiös wie politisch aktuell sind, soll an wenigen Beispielen gezeigt werden:
Da fällt zunächst auf, dass die Taoisten nicht Meister großer oder vieler Worte sind. Ihre Weisungen sind knapp gehalten, oft sehr bildhaftkonkret. Besonders die Aussprüche, die Tschuang Tse zugeschrieben werden, haben häufig den Charakter von Zen-Koans. Und Lao Tse sagt bereits im ersten Satz des Tao-Te-King, das ewige Tao (Dau) sei nicht sagbar. Der Skepsis gegenüber dem menschlichen Erkenntnisvermögen, gegenüber angelerntem Wissen, Kritik und Logik begegnet man immer wieder bei den Taoisten.
Die vorsichtige Zurückhaltung beim Sprechen über das ewige Tao wird besonders bei Lao Tse deutlich. »Ich kenne seinen Namen nicht, ich nenne es den Weg«, Dau, sagt er. Und in diesem Zusammenhang spricht er auch davon, dass man das Tao »die Mutter der zehntausend Dinge, des Alls Urmutter nennen konnte« (Kapitel 25). Die heutige Theologie und ihre Gotteslehre dürften bei Lao Tse überraschende Parallelen finden können.
Aber auch die politische Aktualität der Taoisten ist deutlich. Die drei gesellschaftlichen Alternativrichtungen unserer Zeit (für Entwicklung, Abrüstung und Umwelt) könnten insbesondere bei Lao Tse manche Anregung oder Bestätigung empfangen. Er ist geradezu der Verkünder der Maxime »small is beautiful« und eines einfachen Lebens: »Ein Land soll klein und dünn besiedelt sein. Sorge dafür, dass die Menschen, obwohl sie genug Waffen für eine Truppe oder ein Bataillon haben, sie nie gebrauchen« (Kapitel 80).
Während das Tao-Te-King im allgemeinen eine große Ruhe ausstrahlt, die Formulierungen mit Bedacht gewählt sind, wird Lao Tse geradezu erregt, wenn er auf den Missbrauch der Gewalt und der Waffen zu sprechen kommt: »Waffen sind Instrumente des Unheils und werden von allen Geschöpfen gehasst. Wer dem Weg folgt, besteht deshalb nicht auf ihrem Gebrauch. ... Waffen sind Instrumente des Unheils und nicht die Instrumente des Edlen. Ist man gezwungen, sie zu gebrauchen, so ist es am besten, wenn man keinen Gefallen daran findet« (Kapitel 31).
Trotz seiner eindringlichen Warnung vor den Waffen ist Lao Tse kein schwärmerischer oder unrealistischer Pazifist. Er sagt ja, »der Edle« solle nur gezwungen zur Waffe greifen. Und siegt er, ist dies für den Edlen kein Grund zur Freude: »Ein Sieg ist kein Grund für laute Freude; wer sich dennoch über einen Sieg freut, der hat auch Freude am Töten von Menschen. Wer Freude hat am Töten von Menschen, kann sein Ziel in der Welt nicht erreichen. « Und: » Ein Sieg im Krieg lässt sich mit einem Begräbnis vergleichen« (Kapitel 31).
Allen taoistischen Philosophen ist der Respekt vor der Natur eigen. Gewaltsame Eingriffe in die natürlichen Vorgänge werden von ihnen abgelehnt. »Nicht viele Worte machen heißt natürlich sein« (Kapitel 23). Und: »So weiß ich denn: Nicht wider die Natur handeln fördert der Dinge Gedeihen. Aber Belehrung ohne Worte, Handeln, doch nicht wider die Natur - gar selten trifft man dergleichen in dieser Welt« (Kapitel 43). Diese Mahnung wird im Tao-Te-King mehrmals wiederholt (Kapitel 63, 64). Die »Kultivierung« der Natur, ihre Verdinglichung beurteilen die Taoisten mit großer Skepsis. Tschuang Tse wurde einmal gefragt, was man mit einem »unnützen« Baum tun solle, der so knorrig und verwachsen war, dass man ihn nicht zu Nutzholz hätte zersägen können. Tschuang Tses Antwort: »Dass etwas keinen Nutzen hat: Was braucht man sich darüber zu bekümmern! « Es wird berichtet, die Leute hätten diesen Baum »Götterbaum« genannt.
Man kann nicht umhin, auch von den Missverständnissen zu sprechen, die die Tao-Lehre heute auch im Westen erfährt. Das beginnt damit, dass in unseren Buchhandlungen und auch in Bibliotheken die Texte der taoistischen Philosophen nicht neben denen ihrer westlichen Kollegen stehen oder in der Sparte Religionswissenschaft. In der Regel werden sie immer noch bei der sogenannten esoterischen Literatur eingeordnet. Dies findet seine Erklärung in zwei Gründen: Zum einen stammt etwa die Hälfte zumindest der in den deutschsprachigen Ländern auf dem Markt befindlichen Tao-Te-King-Ausgaben aus Verlagen, die sich auf esoterische Literatur oder Absonderlichkeiten spezialisiert haben.
Der Weg zum Tao
Der andere Grund dafür, dass die taoistische Literatur immer noch auf Skepsis und auch auf Missverständnisse stößt, hat mit der Verknüpfung der Tao-Lehre mit allen möglichen Themen zu tun. Um zu verdeutlichen, was gemeint ist, seien nur einmal die Titel zweier zurzeit viel gelesener Bücher genannt: Capras »Das Tao der Physik« und Jolan Changs »Das Tao der Liebe Unterweisungen in altchinesischer Liebeskunst«. Es soll und kann gar nicht bestritten werden, dass in den beiden genannten Büchern wie in vielen anderen, die in den verschiedenen Sprachen erscheinen, in verantwortbarer Weise Verbindungen zwischen der Lehre vom Tao und zahlreichen Themen hergestellt werden. Dennoch wird man in derartigen Büchern in der Regel eher den eigenen Interpretationen der Tao-Lehre durch den jeweiligen Autor begegnen also Lao Tse, Tschuang Tse oder Liä Dsi.
Den Weg zum Tao sollte man also unter Begleitung dieser Alten Meister einschlagen. »Lao Tse« ist ja ein Ehrentitel und bedeutet »Alter Meister«. Und wie wohl jeder Versuch, sich dem Ursprung zu nähern, ist auch der Weg zum Tao und der Weg (= Tao) selbst anstrengend und mühselig. Lao Tse sagt dazu: »Der Weg, der aus dem Mund hervorgeht, ist ohne Würze; er ist nicht zu sehen, er ist nicht zu hören, man schöpft aus ihm, doch er bleibt unerschöpflich« (Kapitel 35).
Tao und Stille sind eines. Am Tao ist nichts Auffallendes, Sensationelles, Exotisches: »Ich versenke mich tief in die Stille« (Kapitel 16). Was Lao Tse Tao nennt, ist »still und leer, und es steht allein und verändert sich nicht« (Kapitel 25). Und er sagt weiter: »Stille und Ruhe bringen das ganze Reich ins rechte Maß zurück« (Kapitel 45).
Auch Lao Tse ist als Sucher des Tao offenbar ein Einsam-Stiller gewesen. Bertolt Brecht lässt das in seinem ergreifenden Gedicht aus dem Jahr 1938 spüren (»Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Lao Tse in die Emigration«). Und der bereits genannte Theologe Grill meint, dass sich Lao Tses Einsamkeit »als ein Stück seiner Macht erwiesen« habe. Grill schreibt dann 1910 weiter: »Es könnte sein, dass, weil er in seiner Zeit nicht ganz verstanden worden ist, seine Zeit überhaupt erst im Kommen ist, dass er nicht ein Mann und ein Name der Vergangenheit ist, sondern eine Kraft der Gegenwart und Zukunft. Er ist moderner als die Modernen und lebendiger als viele Lebende«.
Knut Walf